Zurück

Impressum

Datenschutz
Die Überwachung


Überwachung jeder einzelnen Person, reiner Schwachsinn oder doch real?
In den Großstädten sind heutzutage überall Kameras installiert, natürlich für unsere Sicherheit.
Warum war es aber noch vor 20 oder gar 10 Jahren sicherer in der Dunkelheit spazieren zu laufen, als dies heute der Fall ist?    Damals gab es noch keine Videokameras!!
Was steckt hinter dem Orwellschen Staat?  Wird die Überwachung noch schlimmer und wie können wir etwas dagegen unternehmen?
In dem folgendem Artikel gehen wir diesen Fragen nach und zeigen damit auch auf, daß der Überwachungsstaat doch realer ist, als nur eine Verschwörungstheorie.

die WFG-Schriftleitung






(Quelle: Frankfurter Rundschau vom 30.06.2000 von Ute Ruge)

Unterdrückte Wahrheiten Privatsachen: Simon Davies beschreibt in Index on Censorship die neuen Methoden der alltäglichen und allumfassenden Überwachung

Zensur ist wesentlich gebunden an Überwachung, und diese an den beständigen Zufluß von neuen Informationen.  Vieles, was früher mühsam durch Agenten und IMs gesammelt werden mußte, liegt heute in großer Zahl als "harmlose" Datensammlung vor, die jeder im Laufe seines Lebens in irgendeinem Computer hinterläßt, freiwillig und unfreiwillig.  Durch wachsende Computervernetzung und Internet-Aktivität ergeben sich für staatliche und private Organisationen Überwachungs- und Manipulationsmöglichkeiten, deren Folgen noch kaum absehbar sind.  Am Begriff des Rechts auf Privatsphäre, ihres Schutzes und ihrer Verletzung zeigt

Simon Davies, Direktor der Organisation Privacy International and Fellow der London School of Economics, auf, welche Gefahren für "Freiheit und Autonomie des Individuums" in dieser Entwicklung lauern.  Sein Beitrag erscheint in unserer Serie "Unterdrückte Wahrheiten", einem Kooperationsprojekt der FR, der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin und der britischen Zeitschrift Index on Censorship.  Ausgewählt und übersetzt wurde der Beitrag, der in der Juni-Nummer von Index erschienen ist, von Ute Ruge.  Weitere Informationen über Index on Censorship sind im Internet zu finden:  www.indexoncensorship.org

Ein graues unscheinbares Gebäude in Edinburgh ist derzeit Schauplatz einer ganz ungewöhnlichen Variante im ewigen Kampf zwischen dem Recht auf Privatsphäre und der Macht des Staates.  Hier, nämlich im Hauptquartier der Lothian-and-Borders Polizei wird die DNS-Struktur der regionalen Bevölkerung systematisch archiviert.

Seit zwei Jahren wird jede Person, die polizeilich festgehalten oder verhaftet wurde, zum DNS-Test gezwungen.  Nicht nur bei Verdächtigen von eher schweren Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung und Raub, sondern auch, wer sich nur ein Verkehrsvergehen, Ladendiebstahl und Verstoß gegen die öffentliche Ordnung hat zu Schulden kommen lassen, wird derart behandelt.

Das Vorgehen der Edinburgher Polizei ist im Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre von größter Bedeutung, denn die Sammlung und Archivierung individueller Erbstrukturen muß wohl als weitestgehender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht gelten, und dennoch zeigen kürzlich veröffentlichte Meinungsumfragen, daß drei Viertel der lokalen Bevölkerung gewillt ist, ihre DNS-Struktur "im Zuge der Verbrechensbekämpfung" archivieren zu lassen.

Bisher weigert sich die Polizeibehörde anzuerkennen, daß diese Praxis überhaupt Implikationen für die bürgerlichen Freiheiten hat.  Ihr Sprecher hat kürzlich in einem BBC-Interview geäußert: "Denken Sie doch einmal daran, daß der Mensch, der bei einem simplen Verkehrsvergehen erwischt wird, auch ein Schwerverbrecher sein könnte; und hierdurch haben wir die Chance, seine DNS festzustellen und ihn zu identifizieren."

Noch kann keiner sagen, ob solcherlei Praktiken überhaupt ernst zu nehmende Erfolge aufzuweisen haben, aber Premierminister Tony Blair hat bereits zu erkennen gegeben, daß er das Vorgehen der Edinburgher Polizei allen Polizeibehörden des Landes empfiehlt.

Auch das Innenministerium und andere Regierungsstellen in Britannien haben   sich schon für das Potenzial von DNS-Tests begeistert.  Neueste   Bestimmungen der Child-Support-Agency fordern von Männern, die sich  angeblich Alimentezahlungen für ihre Kinder entziehen wollen, sich einem  DNS-Test zu unterziehen.  Und wenn sich einer weigert, wird das juristisch  verwertbar als Schuldgeständnis angesehen.  Es ist zu vermuten, daß innerhalb der nächsten Generation die DNS der gesamten Bevölkerung   in nationalen Dateien archiviert sein wird.

Die neuerdings herrschende Begeisterung für DNS-Tests berührt den Kern der Debatte um das Recht auf Privatsphäre.  Traditionelles Argument für Eingriffe in die Privatsphäre ist immer schon der Hinweis auf ein besseres Sozialmanagement gewesen.  Der Polizei waren bei ihrer Aufgabe, dem Gesetz zur Geltung zu verhelfen, Schutz der Privatsphäre und Garantie von Anonymität immer schon ein Dorn im Auge.  Denn jede Autorität hat die Tendenz, eine perfekte Identifizierung ihrer Bürger zu erreichen.  Und die DNS ist der perfekte Schlüssel dazu!

Die Popularität der DNS-Tests ist allerdings nur Symptom eines sehr viel tiefer liegenden Trends.  Regierungen und Institutionen des privaten Sektors haben in den letzten Jahren weitreichende Überwachungsmechanismen geschaffen, durch die kaum ein Aspekt unserer Geldgeschäfte, unserer Kommunikation miteinander und unseres Lebensstils unberührt bleibt.
   Die Behauptung, Überwachung sei notwendig zur Aufrechterhaltung von   Recht und Gesetz und diene der ökonomischen Effektivität, ist jedoch   ein Scheinargument, denn in der Regel hat der gewünschte Effekt mehr   mit Eigennutz zu tun.  Dennoch haben sich viele überzeugen lassen,   daß die Hintanstellung des Rechts auf Privatsphäre nun einmal  der Preis sei, den wir für eine bessere und sicherere Gesellschaft zahlen   müssen.

Eine simple Sache ist dies noch nie gewesen.  Das Recht auf Privatsphäre des Einzelnen war von Anfang an eines der großen Themen in der Menschenrechtsdebatte.  Dabei geht es im Kern um das ideale Gleichgewicht zwischen der Autonomie des Individuums und dem Machtanspruch des Staates.  Mit jedem neuen Eingriff in das Privatleben - ob es dabei um Überwachungskameras, E-Mails oder um so genanntes Direct Marketing geht - muß man jeweils neu zwischen den Rechten des Einzelnen und den Rechten der Gesellschaft abwägen.


Kern aller Freiheitsrechte

Ob nun als Ursache oder als Wirkung - der Schutz der Privatsphäre des Individuums besetzt im Menschenrechtskatalog inzwischen einen wenig beneidenswerten Platz.  Neben der Problematik von Zensur und freier Meinungsäußerung ist auch dies ein schier unlösbares Problem.  Aber das Recht auf Privatsphäre ist, wie einmal jemand geschrieben hat, "das Recht von dem sich alle anderen Rechte herleiten".  Es ist Kern aller Freiheits- und Autonomierechte des Einzelnen und womöglich gar der entscheidende Faktor für die Einschränkung staatlicher Macht.

Noch nie zuvor sind derart viele Informationen über die gesamte Bevölkerung zusammengetragen worden.  Einzelheiten über die ökonomisch aktive, erwachsene Population der entwickelten Welt werden in über 400 großen Datenbanken gespeichert - genug verarbeitete Daten, um für jeden Erfassten ein beeindruckendes Profil zu erstellen.
Elektronische Überwachung öffentlicher Orte ist in Stadtzentren nahezu allgegenwärtig.  Fast alle Arten elektronischer Kommunikation werden inzwischen routinemäßig geprüft und zu Profilen verarbeitet.  Haben sich Überwachungsaktivitäten in der Vergangenheit auf bestimmte Einzelne oder Gruppen gerichtet, so ist inzwischen ein pro-aktives, systematisches Überwachungsnetz gespannt, das Millionen Menschen gleichzeitig im Griff hat.

Die öffentliche Reaktion auf derlei Eingriffe in die Privatsphäre ist widersprüchlich und unvorhersagbar.  In den Vereinigten Staaten ist die Tatsache, daß Sozialhilfeempfänger per Fingerabdruck identifiziert werden, fast ohne jeden Protest akzeptiert worden, während in Australien der Versuch der Regierung, einen nationalen Identitäts-Ausweis einzuführen, den größten öffentlichen Protest seit Menschengedenken hervorgerufen hat.  Dagegen ist das australische Bankengesetz, das die Banken des Landes zur Meldung "verdächtiger Transaktionen" verpflichtet, dort öffentlich unbeachtet über die Bühne gegangen - wohingegen ein ähnliches Vorhaben in den USA mehr als eine viertel Million schriftlich eingereichter Proteste zeigte!

Über Folter, Diskriminierung und rassistische Hetze ist in der internationalen Gemeinschaft ein gewisser fundamentaler Konsens entstanden.  Das Recht auf Privatsphäre jedoch wird von vielen Individuen, Regierungen und Unternehmen als reines Schreckgespenst von Menschenrechtlern abgetan.  Vielmehr geht man in bewährter Weise davon aus, der Schutz der Privatsphäre des Individuums und seiner persönlichen Daten diene nur dazu, wirtschaftliche Effektivität und Verbrechensbekämpfung zu erschweren.

Die Folge ist, daß sich viele Länder zu Überwachungsgesellschaften entwickelt haben.  Die entsprechenden Rechtfertigungen sind verführerisch und nicht leicht zu widerlegen.  In unserem harmlosen Eifer, ein paar Mark zu sparen oder einfach gute Bürger zu sein, geben wir ständig Informationen über unsere Geldangelegenheit, Einkäufe, Jobs, Interessen, Telefonate und sogar Reisen heraus.  Und sobald das geschehen ist, stehen viele Organisationen schon in den Startlöchern, unsere Daten für ihre Zwecke zu nutzen.  Überwachung ist daher zu einem festen Bestandteil der blühenden Informations-Ökonomie geworden.

Was Umfang, Kapazität und Geschwindigkeit angeht, sind die Informations-Techniken in einem rasanten Wachstum begriffen.  Entsprechend wächst auch das Ausmaß der Eingriffe in die Privatsphäre oder zumindest deren Potenzial.  Formen der Globalisierung wie das Internet beseitigen geografische Grenzen (und Rechtsschutzmechanismen) für den Datenfluß.  Und die zunehmende Konvergenz eliminiert zusätzlich mehr und mehr technologische Barrieren zwischen den Systemen.

Kürzlich habe ich eine BBC-Dokumentation über das Thema Privatsphäre gemacht, in der eine der unvorhergesehenen Folgen dieses Großtrends der Technologien aufgezeigt wurde.
UK-Info-Disc hatte eine CD-ROM produziert, auf der die Wählerliste,   Telefonbuch und allgemeine demografische Daten zusammen veröffentlicht   wurden.  Das heißt, die harmlosesten Daten machen alle möglichen   zusätzlichen Fakten über jemanden öffentlich.  Die Telefonnummer   führt automatisch zur Adresse, der Name zu Beruf und Alter.  Und   man braucht nicht weiter zu betonen, daß Banken und Kreditinstitute,   Privatinvestoren und Zeitungsverlage, Marketing-Unternehmen und Polizei selbstverständlich  ausführlich von dieser CD-ROM Gebrauch machen.

Dies alles im Auge zu behalten ist auch deshalb so wichtig, weil das sich weiter verstärkende Informationsband zwischen Bürger und Staat (natürlich dem Markt) die Autonomie des Menschen einschränkt.  Denn Entscheidungsprozesse in staatlichen Organisationen, Banken und Versicherungen werden mehr und mehr automatisiert, was heißt, daß unser Leben zunehmend von Entscheidungen bestimmt wird, die sich aus den persönlichen Datenmassen von Millionen ableiten.


Tödliche Folgen

In  vielen unterentwickelten Ländern ist die Gefährdung Einzelner durch solche globale Überwachung noch viel größer, denn dort kann die perfekte Identifizierung von Individuen tödliche Folgen haben.  Die Regierungen undemokratischer Länder sind dabei auf entwickelte Länder angewiesen, die sie mit Überwachungstechnologien wie digitalen Abhörsystemen, Entschlüsselungsgeräten, Scannern, Kleinmikros, Funkanlagen und Abfangsystemen für Computerkommunikation beliefern.  Tatsächlich ist dies zu einem höchst lukrativen Nebenverdienst der Rüstungsindustrie geworden.  Ein 1995 publizierter Report meiner Organisation Privacy International hat über das Ausmaß dieses Handels berichtet.  Dort heißt es über Unternehmen, die an Länder mit einer bekanntermaßen kritischen Menschenrechtslage liefern: "Der Handel mit Überwachungsgeräten ist nahezu ununterscheidbar vom Waffenhandel.  Über 70% aller Unternehmen, die Überwachungstechnologien herstellen und exportieren, sind auch im Export von Waffen, chemischen Waffen oder anderen Militärgütern aktiv.  Überwachung ist ein Schlüsselelement für den Erhalt undemokratischer Infrastrukturen und eine wichtige Aktivität für die Absicherung von gesellschaftlicher Kontrolle und politischer Herrschaft."

Diese Analyse ist vom Europäischen Parlament bestätigt worden durch den Bericht "Assessing the Technologies of Political Control", den das Bürgerrechts-Komitee der Europäischen Kommission STOA (Science and Technology Options Assessment) 1997 veröffentlichte.  Nach Aussage dieses Berichts dient ein Großteil der Geräte dazu, um Aktivitäten von Dissidenten, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Studenten- und Gewerkschaftsführern, Minderheiten und politischen Gegnern zu überwachen.  Vehement wurde darauf hingewiesen, daß die Überwachungstechnik per se bürgerrechtsfeindlich ist.  Das Dokument hat mehrere Kategorien von Überwachungstechnologien - Identifizierungssysteme, biometrische Technologie, Abhöranlagen etc. - in einem entschieden negativen Licht dargestellt und ihren Gebrauch mit der Verweigerung fundamentaler Menschenrechte verknüpft; es kommt zu dem Schluß, solche Technologie habe einen wichtigen "Einschüchterungseffekt" für alle, die eigentlich "einen abweichenden Standpunkt einnehmen möchten, und die wenigen, die ihr Recht auf demokratischen Protest tatsächlich ausüben".  Wie Privacy International bereits schrieb: "Solange es keinen juristischen oder konstitutionellen Schutz gibt, der diesen Namen auch verdient, bedeuten solche Technologien die Verhinderung demokratischer Reformen.  Sicher ist, daß sie jemandem, für den das Regime, sich interessiert, tödlich werden kann."

Während IT-Unternehmen ihre Technologien beständig als Mittel zur Erreichung sozialer Reformen anpreisen, definieren Menschenrechtsorganisationen sie zunehmend als Mittel der sozialen und politischen Kontrolle.
Überwachungssysteme mit Kameras und angeschlossenen Monitoren (CCTV - Closed Ciruit TV) werden möglicherweise zukünftig als offensichtliche - und schwerwiegendste - Eingriffinstrumente gelten müssen.  Innerhalb von fünfzehn Jahren haben sie sich von der "ersten Generation" (einzeln stehender Kameras) über die "zweite Generation" (Netzwerk von Kameras durch Telekommunikationssysteme) zur modernen "dritten Generation" entwickelt, d.h. zu Systemen, die mit integrierter Software automatisch Gesichter erkennt und menschliches Verhalten analysiert.  In Britannien z.B. sind Hunderttausende solcher Kameras in Bussen, Zügen, Fahrstühlen und sogar Telefonzellen angebracht.  Versteckte Kameras, die früher verpönt waren, werden inzwischen ohne weiteren Protest in Kinos, Polizeihelmen, Rotlicht-Bezirken, Umkleidekabinen und großen Wohnblocks installiert.  Die klotzigen Geräte von Orwells 1984 kann man getrost vergessen.  Es ist diese Verschmelzung von CCTV mit ihrer Umwelt, die den Stand der Dinge bezeichnet.

Visuelle Überwachung ist in Britannien zudem ein fester Bestandteil geworden, wenn es um die Planung moderner Stadtzentren geht, um neue Wohnanlagen, öffentliche Gebäude und sogar den Straßenbau (ein riesiges Netz von Kameras, die Autokennzeichen registrieren, wird in den nächsten zehn Jahren jegliche Anonymität im Straßenverkehr zunichte machen).

Eine Parallele zur Allgegenwärtigkeit visueller Überwachung erwächst aus der Massenüberwachung des Internets und aller telefonisch übermittelten Kommunikation.  US-amerikanische und europäische Polizeibehörden haben die Grundlagen schon gelegt für ein massives Lauschangriffssystem, das sämtliche Handys, Internet-Kommunikation, Fax-Nachrichten und Pagers in Europa abfangen kann.  Dieser Plan mit dem Namen ENFEPOL 98 ist im Geheimen von Polizei und Regierungsbeamten als europaweite Strategie für ein "nahtloses" Netz von Telekommunikationsüberwachung entwickelt worden.

Aktivisten, die sich mit dem Recht auf Privatsphäre befassen, bemühen sich, ENFEPOL 98 zu blockieren, das zudem mit den schmutzigen Taktiken durchgesetzt werden soll.  Auf einer kürzlich in Russland stattfindenden Konferenz zum Thema Internet-Rechte hat der australische Aktivist Erich Moechel ein offizielles Papier internationaler polizeilicher Arbeitsgruppen präsentiert, das ohne jede Zweideutigkeit auf eine perfide Strategie der Behörden hinausläuft: die Überwachung des Internets soll akzeptabel gemacht werden durch Ausnutzung der öffentlichen Besorgnis über Kinderpornografie, "obwohl dies nicht unbedingt relevant ist".  

ENFOPOL ist im EU-Beirat für Rechts- und Innenpolitik - einem der höchsten politischen EU-Institutionen - durchgängig auf Unterstützung gestoßen.  Nach seinen Plänen sollen alle Internet-Provider und Telefonzentralen gezwungen werden, den Behörden den Zugang in "real time, full time" zu allen Kommunikationsabläufen ohne Rücksicht auf das Ursprungsland zu gewährleisten.  Auch alle neuen Medien der Kommunikation, wie interaktives Kabelfernsehen, sollen verpflichtet sein, Polizeibehörden den ungeschmälerten Zugang zu garantieren.

Die ENFEPOL-Strategie wird unterfüttert von Systemen des subject tracking, die eine Zielperson aufspüren, sobald sie sich auf Reisen begibt.  Bekannt als International User Requirements for Interception (IUR) wird das Verfolgungssystem, das zurzeit noch entwickelt wird, ein Netzwerk von Datenverarbeitung und -übermittlung schaffen, das nicht nur Namen,
Adressen und Telefonnummern von Kontaktpersonen enthält, sondern auch ihre E-Mail-Adressen, Details über Kreditkarten, PIN-Nummern und Passwörter.  Dieses System soll auch Handy-Daten erfassen, um eine vollständige geografische Lokalisierung zu ermöglichen.

ENFEPOL ist nur eines von mehreren solcher aufkommenden Systeme, in denen die weltweiten Kommunikationsströme aufgefangen und analysiert werden.  Das vielleicht erschreckendste dieser Systeme ist ECHELON, ein globales Lauschsystem der US-amerikanischen National Security Agency.  Dieses System sitzt gewissermaßen im Zentrum internationaler Telekommunikation und kann viele Millionen E-Mails und Faxe nach Schlüsselwörtern durchkämmen, die für die USA und ihre Alliierten von Interesse sind.

In den Vereinigten Staaten geht das Investigatory Powers-Gesetz (dem umstrittenen SORM-Gesetz in Russland sehr ähnlich) zurzeit in die dritte Lesung.  Es soll die Regierung mit einer ganzen Batterie von Befugnissen ausstatten, Computer und Internet-Benutzer zu überwachen.  Die Maßnahmen haben den potentiellen Effekt, Benutzer von Verschlüsselungsprogrammen (und damit letztlich jeden Computer-Benutzer) zu kriminalisieren.  Zudem gibt das Gesetz den Behörden das Recht, ohne Vorlage eines Durchsuchungsbefehls alle Informationen des Internet-Verkehrs zu kontrollieren.  Das betrifft die Benutzung jeder Website-Adresse, jedes E-Mail-Kontaktes und jeder Newsgroup.


Perfekte Überwachung

Finanzämtern und Steuerbehörden werden in Zukunft das Gesetz einsetzen können, um riesige Netze über das gesamte Internet zu spannen und in Fischzugoperationen Profile von Millionen von Internet-Benutzern und ihren Aktivitäten zu erstellen.

Perfekte Überwachung bedarf der perfekten Identifizierung, und in den kommenden zwanzig Jahren wird man umfassende Anstrengungen sämtlicher Behörden in dieser Richtung beobachten können.  Neben der umfassenden Etablierung von DNS-Tests werden staatliche Behörden und private Unternehmen vermutlich auch immer mehr Systeme des elektronischen Finger- und Hand-Scannings einführen.

Diese Systeme, bekannt als biometrische Identifizierer, sind bereits weltweit in Gebrauch.  Ihr Anspruch ist eine nahezu perfekte Identifizierung durch elektronisches Scanning  der feinen Details von Händen, Fingern oder Augen.

Spanien besitzt bereits ein nationales Fingerabdruck-System für alle, die Arbeitslosen- oder Krankengeld beziehen.  In Russland existieren Pläne für ein ebensolches System für Bankkunden.  Auf Jamaika muß man seinen Daumenabdruck für eine Datenbank scannen lassen, bevor man zur Wahlurne schreiten kann.  Und in Frankreich und Deutschland laufen Tests mit Geräten, die kodierte Informationen zum Fingerabdruck in Kreditkarten integrieren.  Diese Technologie wird auch von Geschäften, Regierungsinstitutionen, Kinderbetreuungsstätten, Polizei und Automaten für Bargeldauszahlungen bereits genutzt.  Microsoft hat kürzlich angekündigt, biometrische Erkennungszeichen in seine neuen Systeme zu integrieren, um mehr Internet-Sicherheit zu gewährleisten.

In den letzten fünf Jahren hat die US-amerikanische Behörde für Einwanderungs- und Passangelegenheiten INS ein automatisches Passkontrollsystem entwickelt, das die Geometrie der Hand zu Grunde legt.  In diesem Projekt wird die Handgeometrie von Leuten, die viel auf Reisen sind, in einer "smart-card" gespeichert.  Der Reisende legt dabei seine Hand auf einen Scanner und dann seine Karte ein.  Mehr als 70 000 Menschen haben sich an diesem Versuch beteiligt, und ein Sprecher der Behörde hat vor kurzem in einem Interview mit der Daily Mail geäußert, man habe vor, ein weltweit gültiges biometrisches System für Reisende zu schaffen.


Arbeitgebern ist alles erlaubt

Was die Menschen allerdings am direktesten betrifft, ist die Überwachung am Arbeitsplatz.
In den allermeisten Ländern haben Arbeiter keinerlei Recht auf den Schutz der Privatsphäre.
Arbeitgebern ist - "in vernünftigen Grenzen" - erlaubt, alle Arbeiter unter ständiger Kontrolle zu halten.  Sie dürfen Telefone anzapfen, E-Mails lesen und Computer-Bildschirme kontrollieren.  Sie können ungestraft Unterhaltungen mitschneiden, Computer- und Keyboard-Arbeit analysieren, durch Kameras beobachten lassen und Lokalisierungstechnologien benutzen, um persönliche Gänge zu verfolgen; sie können Urin analysieren lassen, um Drogengebrauch festzustellen, und die Aufdeckung intimer Informationen verlangen.  Die zunehmend zu beobachtende hohe Fluktuation an vielen Arbeitsplätzen verfestigt solche Gewohnheiten noch.

Telefon-Software wie WatCall von Harlequin analysiert alle aktiven und passiven Telefonkontakte von Angestellten.  In vielen Industrien, deren wichtigstes Arbeitsmittel Telefon und Computer sind, haben durch solche Software-Pakete ihre Supervisoren zum digitalen Äquivalent der Vorarbeiter viktorianischer Arbeitshäuser gemacht.  Sehr wahrscheinlich ist, daß jeder Manager, der sich heutzutage neue Netz-Software kauft, schon eingebaute Abhörfunktionen dazu kriegt.  Manche Pakete wie Win Watch Professional und Norton-Lambert`s Close-Up/Lan Softwareprogramme erlauben Netzadministratoren, die Bildschirme von Angestellten in Realzeit zu beobachten, Dateien und E-Mails zu kontrollieren und Tippgeschwindigkeiten zu analysieren.

Auch bei sich zu Hause wird man noch überwacht werden können.  Man denke nur an die neue Generation von interaktiven, digitalen Fernseh-Diensten, die jetzt im Kommen sind.  Diese Produkte stellen eine neue Intimität her zwischen Fernseh-Provider und Kunden.  Durch direktes Ablesen von Fernsehgewohnheiten, Geldtransaktionen und on-screen-Meinungsumfragen kann das Unternehmen ein komplexes Profil jedes Kunden erstellen.

Der Amerikaner David Burke zitierte den britischen Informations-Analysten William Heath, als er schrieb, das digitale Fernsehen schaffe die "vollständige Versuchsanordnung in jedem Haus eines Benutzers, mit messbarem Stimuluszyklus, Ausschlagmessung und Reaktion".

Die Privatsphäre wird auf vielfache Weise untergraben.  Wäre es besser um das Recht auf Privatsphäre bestellt, würden die entsprechenden Techniken ausbalanciert durch Technologien und Gesetze, die sie dennoch schützten.  Aber weltweit geht der Trend dahin, daß Regierungen die Verbreitung von benutzerfreundlichen Technologien wie Verschlüsselungsprogrammen behindern und Gesetze zur Ermöglichung von Überwachung verabschieden.  Allerdings liegt die größte Gefahr für den Schutz der Privatsphäre nicht bei irgendeinem Innenminister oder cleveren Super-Unternehmer, sondern im wohlmeinenden Einzelnen, der meint: "Ich habe nicht zu verbergen, deshalb habe ich auch nichts zu fürchten".
Das ist leider weit gefehlt.  Jeder hat eine Privatsphäre, die vor Verletzungen geschützt werden muß.  Nur ganz wenige können von sich behaupten, ihr Leben - mit sämtlichen Familien-, Geld- und Krankengeschichten - sei ein offenes Buch.  Und selbst wenn dem so wäre, sollten solche glücklichen Einzelfälle nicht Maßstab sein für Eingriffe in das Leben aller.

Die Argumentation für den Schutz der Privatsphäre muß jedoch weit über den Hinweis auf Integrität und Autonomie des Einzelnen hinausgehen.  Denn der Schutz der Privatsphäre ist der fundamentale Stärketest einer freien Gesellschaft.  Das Recht auf Privatsphäre bedeutet das Recht, uns vor Übergriffen durch die Außenwelt zu schützen, es ist der Maßstab, mit dem wir alle von außen an uns herangetragene Forderungen messen und ihnen Grenzen setzen.  Es ist das Recht, auf das wir hinweisen, wenn es um unsere persönliche Freiheit, unsere Autonomie und unsere Identität geht.  Es ist der Grundstein des Gleichgewichts zwischen uns und der Welt.

Insofern ist das Recht auf Privatsphäre der gewissermaßen natürliche Partner des Rechts auf freie Meinungsäußerung.  Diese beiden Rechte sind gleichgewicht und stehen miteinander in engem Zusammenhang.  Und beide haben sich synergetisch im Kontext der Moderne entwickelt.  Während alle Welt sich freudig in die Arme der Informationsgesellschaft stürzt und unser Leben zunehmend online geht, schränken zensierende Kräfte unsere Privatsphäre ein - und umgekehrt.

Es wird zukünftig deutlicher werden, wie sehr beide Rechte zusammengenommen die entscheidenden, tragenden Elemente jeder freien Gesellschaft sind.