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Die
Tragödie von
Meyerling. Befand sich Kronprinz Rudolf in den Händen der Freimaurer? |
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Am 30 Januar 1889
wurde Kronprinz Rudolf in seinem
Jagdschlößchen Meyerling bei Baden (Österreich) tot
aufgefunden, mit ihm zugleich seine Geliebte, die junge,
bildhübsche Baronesse Mary Vetsera. Allem Anschein nach lag
eine Liebestragödie vor. Allein sowohl die tieferen
Beweggründe als auch die näheren Umstände blieben in
undurchdringliches Dunkel gehüllt, zumal sich die
österreichischen Behörden die größte Mühe
gaben, den Tatbestand zu verschleiern.
Bis heute schwankt die öffentliche Meinung, ob Doppelselbstmord oder Mord und Selbstmord vorliegt, ja manche behaupten auch jetzt noch, das ursprüngliche Gerücht beruhe auf Wahrheit, wonach der Kronprinz im Walde ermordet und erst dann ins Schloß gebracht worden sei. Um klar zu sehen, ist es
zunächst nötig, sich eine Reihe
bestimmter Tatsachen, die nicht bestritten werden können, vor
Augen zu halten.
Der Kronprinz war, wie allgemein bekannt, nicht glücklich verheiratet. Seine Gemahlin, Prinzessin Stephanie von Belgien (geboren am 21. Mai 1864), war für ihn nicht die richtige Frau; unzählige Liebesverhältnisse Rudolfs begleiteten diese Ehe und Mary Vetsera war nur eine von den Vielen. Sie selbst suchte Rudolfs Bekanntschaft und als ihr dies geglückt war, warf sie sich ihm an den Hals. Nebenbei bemerkt, war sie nicht mehr unberührt, von einer Verführung durch den Kronprinzen kann daher keine Rede sein. Daß sie den Kronprinzen ermordet haben sollte, ist ausgeschlossen, es stünde mit ihrem ganzen Wesen in Widerspruch. "Sie war kokett aus Instinkt, unbewußt unmoralisch in ihren Neigungen, fast Orientalin in ihrer Sinnlichkeit und dabei so süß und lieblich, daß sie jeder gern haben mußte. Sie war zur Liebe geboren...." so beschreibt sie ihre Freundin Gräfin Marie Larisch, geborene Freiin von Wallersee, die Nichte und Hofdame der Kaiserin (Sissi) Elisabeth. (Vgl. "Meine Vergangenheit" von Baronin Wallersee, Berlin 1913, S. 135) Möglich ist, daß beide im gegenseitigen Einverständnis Selbstmord verübt haben, wahrscheinlich jedoch, daß der Kronprinz auf ihren Wunsch zunächst sie und dann sich selbst getötet hat. Nun stehen wir aber wieder vor
derselben Frage: Welcher
vernünftige Grund lag für die beiden vor, gemeinsam in den
Tod zu gehen?
Etwa die Furcht vor einem Skandal? Der war ja längst da. Das Verhältnis des Kronprinzen mit der Baronesse Vetsera war stadtbekannt und ganz Wien sprach von dem peinlichen Vorfall, der sich kurz vor dem traurigen Ende im Ballsaal der deutschen Botschaft zugetragen hatte: Mary Vetsera hatte dort der Kronprinzessin den Gruß verweigert und beide Frauen standen sich einige Augenblicke wie zwei sprungbereite Tiger gegenüber; Mary Vetsera stampfte schließlich einmal, zweimal mit dem Fuße auf und warf den Kopf mit einer Bewegung tiefster Verachtung zurück, bis sie von ihrer entsetzten Mutter aus dem Saale hinausgezogen wurde. Die Furcht vor einem Skandal kann also unmöglich die beiden in den Tod getrieben haben. Aber vielleicht die Beschämung darüber? Der Vorfall war gewiß nicht alltäglich; aber am Wiener Hofe war man an stärkeren Tabak gewöhnt, über derlei Entgleisungen pflegte man sich nicht allzusehr aufzuregen und Scham und Reue gehörten nicht zu Rudolfs hervorstechendsten Eigenschaften. Ein Wiener Blatt tischte nun im
Jahre 1919 seinen gläubigen Lesern
neuerdings das alte Märchen auf, Kronprinz Rudolf und Mary Vetsera
seien - Geschwister gewesen! Der Kaiser selbst habe dem
Kronprinzen dieses "niederschmetternde" Geständnis abgelegt, um
ihm die Unmöglichkeit einer Ehe mit Mary klar zu machen.
Richtig ist an diesem unsinnigen Gerüchte, das anscheinend nur zu
dem Zwecke erfunden wurde, um die Wahrheit zu verschleiern, bloß
das Eine, daß bezüglich Marys Vater verschiedener Klatsch im
Umlauf war; aber dieser gesellschaftliche Klatsch richtete sich nie
gegen den Kaiser oder einen der Erzherzoge.
Bei Rudolfs sehr freien Anschauungen ist es auch im höchsten Grade unglaubwürdig, daß ihn eine Mitteilung, wie die von der Blutsverwandtschaft mit Mary, völlig niedergeschmettert und in Wahnsinn und Tod getrieben hätte. Lag Selbstmord vor, so muß also der Beweggrund anderswo zu suchen und die Liebestragödie nur eine Begleiterscheinung gewesen sein. Nun sprechen allerdings
verschiedene Umstände für einen Mord,
der an dem Kronprinzen begangen worden sei. Dabei bleibt aber die
Frage der Täterschaft völlig in Dunkel gehüllt.
Man weiß, daß sich damals im Jagdschloß von Meyerling
eine größere Gesellschaft befand, darunter der Prinz Philipp
von Coburg, Graf Hoyos und mehrere andere. Gerüchtweise
verlautete, der Kronprinz sei durch die Hand eines Onkels der Mary
Vetsera gefallen, der die Schande seiner Nichte rächen
wollte. Die alte Baronin Vetsera war eine geborene Baltazzi und
gegen einen ihrer vier Brüder (Alexander, Hektor, Aristides und
Heinrich Baltazzi) richtete sich der Verdacht. Dagegen
läßt sich nun einwenden, daß es den Baltazzis gerade
darum zu tun war, jeden öffentlichen Skandal zu vermeiden.
Auch ist zu bedenken, daß die alte Baronin Vetsera eine sehr
"bequeme" Mutter war, die alles wußte und beide Augen
zudrückte. Sie hätte gar nichts dagegen gehabt, wenn
ihre Tochter Mary die Rolle einer Pompadour oder Dubarry gespielt
hätte; auch war sie nicht grundsätzlich gegen eine "Liaison"
mit dem Kronprinzen: ihr einziger Kummer war, daß heutzutage
Liebschaften mit Fürstlichkeiten so geheim gehalten werden
müssen! Dazu kommt, daß ihre
Vermögensverhältnisse nicht die besten waren; sie zehrte vom
Kapital und hielt nur mit Mühe den Schein großen Reichtums
aufrecht. Und so betraute sie denn ihre Freundin, die Gräfin
Marie Larisch, mit der heiklen Aufgabe, die Angelegenheit ihrer Tochter
Mary mit dem Kronprinzen zu verhandeln; Rudolf sollte wissen, daß
sie, die Mutter Vetsera, in den Flirt eingeweiht sei; "dann werde er sich ihr gegenüber
viel freier fühlen". Gräfin Larisch war nun
allerdings für diese Vermittlerrolle wie geschaffen; als Tochter
des Herzogs Ludwig von Bayern aus seiner morganatischen Ehe mit der
Schauspielerin Henriette Wendel, die den Titel einer Baronin Wallersee
erhalten hatte, war sie die Nichte der Kaiserin Elisabeth von
Österreich und somit die Cousine des Kronprinzen Rudolf. Und
Gräfin Larisch wies diese Vermittlerrolle, die ihr ausgezeichnet
lag, nicht zurück.....
Unter solchen Umständen und bei derartigen Anschauungen der Mutter Vetsera kann ihren Brüdern, den Baltazzis, eine Mordabsicht doch schwerlich zugetraut werden; der Baronesse Mary aber erst recht nicht; sie schwärmte für Rudolf, sie liebte ihn leidenschaftlich, ja, sie war sogar bereit, mit ihm in den Tod zu gehen.... Einem anderen Gerüchte
zufolge soll der Kronprinz von einem
Förster aus Eifersucht oder Rache im Walde erschlagen worden sein.
Dafür sprach hauptsächlich der Umstand, daß der Schädel des Kronprinzen zertrümmert war. Allein aus dem Zeugnis Dr. Wiederhofers, der die Leiche gesehen und die Wunden verbunden hat, geht unwiderleglich hervor, daß der Kronprinz Selbstmord verübt hat und zwar in seinem Zimmer in Meyerling. Die wichtigsten Stellen seines Berichtes seien hier nach den Aufzeichnungen der Baronin Wallersee wiedergegeben: "....Alles schwamm in Blut. Die Kopfkissen waren besudelt, die Wände bespritzt, es rieselte in einem purpurnen Bach vom Bett auf die Erde herab, wo es eine schreckliche Lache bildete. Rudolf lag auf der Seite, die Hand hielt noch immer den Revolver, der Schädel war fast völlig zerschmettert.... Das Bett bauschte sich ein wenig und Graf Hoyos lüftete die Decken. Mary Vetsera lag unter ihnen - tot. Auch sie hatte einen Kopfschuß...." (aus "Meine Vergangenheit" von Baronin Wallersee, Berlin 1913, S.220 ff.) Aus dieser anschaulichen Darstellung Prof. Dr. Wiederhofers, die einen durchaus wahrhaften Eindruck macht - Dr. Wiederhofer hatte sich bekanntlich auch geweigert, als Todesursache des Kronprinzen einen "Schlaganfall" amtlich festzustellen - geht also unzweideutig hervor, daß Rudolf zuerst seine Geliebte und dann sich selber getötet hat. Dies wird überdies durch das aufgenommene Protokoll vollinhaltlich bestätigt, aus dem die wesentlichen Stellen hier wiedergegeben seien: 1. Kronprinz Rudolf ist an Zertrümmerung des Schädels gestorben. 2. Diese Zertrümmerung wurde durch einen aus unmittelbarer Nähe abgefeuerten Schuß gegen die rechte vordere Schläfengegend bewirkt. 3. Der Schuß aus einem Revolver mittleren Kalibers war geeignet, die beschriebene Verletzung zu erzeugen. 4. Das Projektil ist nicht aufgefunden worden, da es durch die über dem linken Ohr festgestellte Ausschußöffnung ausgetreten war. (Die Kugel steckte, wie sich später herausgestellt hat, im Nachtkästchen.) 5. Es ist zweifellos, daß der Kronprinz sich selbst den Schuß beigebracht hat und der Tod augenblicklich eingetreten ist, usw. Dieses Gutachten trägt die Unterschriften der Professoren Dr. Hofmann, Dr. Kundrat und Dr. Wiederhofer. - Für einen Selbstmord spricht endlich auch die Tatsache, daß der Kronprinz mehrere Abschiedsbriefe hinterließ, gerichtet an den Kaiser, die Kaiserin, die Kronprinzessin, den Herzog von Braganza und an den Sektionschef Szoegyenyi. Die Briefe an die beiden Letztgenannten wurden seinerzeit in den Zeitungen veröffentlicht; aus ihnen geht hervor, daß der Kronprinz unter dem Einflusse dritter Personen gehandelt hat; von außen her wirkten Umstände auf ihn ein, die ihm die Waffe in die Hand drückten: "Ich muß aus dem Leben scheiden...." heißt es in dem Schreiben an den Sektionschef, und "Ich muß sterben. Ich konnte nicht anders handeln...." in dem kurzen Brief an den Herzog von Braganza. Auch von der Baronesse Vetsera fand sich ein Abschiedsschreiben vor, das an ihre Mutter gerichtet war. Darin heißt es: "Ich sterbe mit Rudolf, wir lieben uns zu innig...." Schon aus diesen wenigen Worten geht die Sinnlosigkeit jenes Gerüchtes hervor, wonach sie den Kronprinzen, während er schlief, mittels eines Rasiermessers entmannt haben soll (!). Angeblich wurde es durch Aristides Baltazzi in Umlauf gesetzt (Vgl. das erschienene Werk: "Kaiser Franz Josef I. und sein Hof", Wien 1919, S.57.), der ja besondere Gründe dafür haben mochte. Richtig ist, daß der Kronprinz Selbstmord verübt, ebenso richtig ist jedoch, daß er sich nicht freiwillig getötet hat. (Zu diesem Schlusse gelangt auch Ernst Edler von der Planitz in seinem Buche "Die volle Wahrheit", Berlin 1889; er bringt darin zahllose Einzelheiten, gelangt aber zu falschen Ergebnissen, weil er die handelnden Charaktere unrichtig beurteilt und die treibenden Beweggründe nicht kennt.) (Aus diesem Umstand erklärt sich auch die Vornahme der kirchlichen Einsegnung, die ursprünglich vom Vatikan verweigert und erst nach einem aufklärenden Telegramm des Kaisers gestattet worden war.) Offen bleibt aber immer noch
die Frage nach dem Beweggrund.
Daß nicht bloß eine Liebestragödie vorlag, wurde schon
früher betont. Rudolfs Tod hat eben einen ausgesprochen politischen Hintergrund.
Er befand sich, um es kurz zu sagen, in den Händen der Freimaurer, deren dunklen
Plänen er zum Opfer fiel. Es handelte sich um nichts
Geringeres als um einen Staatsstreich,
um Ungarn zur vollen Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu
verhelfen. Franz Josef sollte entthront und Rudolf König von
Ungarn werden. Österreichs Krone war für Erzherzog
Johann von Toskana bestimmt.
Ohne jede Voreingenommenheit sei hier festgestellt, daß dieser Prinz, der jüngste Sohn des Großherzogs von Toskana, auch der geeignete Mann hierfür war; ihm ist es um so eher zuzutrauen, daß er dem Plane eines gewaltsamen Umsturzes willfährig gegenüberstand, als er sich schon zwei Jahre vorher eigenmächtig um den bulgarischen Fürstenthron beworben hatte (1887); das war auch der Grund, weshalb er vom Kommando der 3. Infanterie-Division (in Linz) plötzlich enthoben wurde. Erzherzog Johann war ein freier Geist, der schon früher durch seine mutige, Aufsehen erregende Schrift "Drill oder Erziehung" die Augen der Öffentlichkeit auf sich gelenkt hatte. Er war mit Rudolf, der um sechs Jahre jünger war als er, eng befreundet, beim Kaiser jedoch schlecht angeschrieben. Nachdem durch Rudolfs Selbstmord der Plan gescheitert war, verzichtete der Erzherzog auf Rang und Würden, nahm den Namen Johann Orth an, ging ins Ausland und rüstete ein Kauffahrerschiff, die "Margarita", aus. Im Jahre 1891 ging dieses Schiff an der Südküste Südamerikas angeblich zugrunde; seit dieser Zeit ist Johann Orth verschollen. Nimmt man die Behauptung,
daß Rudolf sich in den Händen der
Freimaurer befunden hat, als wahr an, so findet das Rätsel, das
über des Kronprinzen Ende schwebt, seine volle und restlose
Lösung. Gleichzeitig findet aber das geheimnisvolle
Verschwinden Johann Orths eine Aufklärung, die bisher noch nicht
versucht worden ist. Wenn sich der Kronprinz, wie die Kaiserin
ihrer Nichte, der Baronin Wallersee, gelegentlich einmal sagte (Vgl.
"Meine Vergangenheit" von Baronin Wallersee, Berlin 1913, S. 242),
wirklich in den Händen der Freimaurer befand, so muß er
unbedingt selbst Freimaurer
gewesen sein, denn nur einem Freimaurer können Freimaurer Befehle
geben und von ihm Gehorsam erzwingen. Dann finden aber auch alle
die dunklen Andeutungen und Äußerungen, die uns als vom
Kronprinzen herstammend überliefert sind, mit einem Schlage ihre
einwandfreie Erklärung.
"Du kannst Dir die Wirrnis nicht vorstellen, die mich umstrickt,"
sagt er bei Gelegenheit zu seiner Cousine, der Gräfin Larisch; "ich bin selbst in großer Gefahr",
"... ich stehe am Rande eines Abgrundes", ...."jeden Augenblick kann
der Kaiser die Durchsuchung meiner Papiere anordnen...."
Derlei Aussprüche, die gewiß nicht erfunden sind, weisen
deutlich auf ganz außergewöhnliche Verhältnisse hin,
die notgedrungen mit politischen Dingen zusammenhängen
müssen. Übrigens sagt es ja der Kronprinz selbst: "Die Gefahr, die mir droht, ist politischer Natur."
Wenn nun Rudolf von einer "Gefahr"
spricht, die ihm droht und die
politische Natur ist, so läßt dies nur den einen Schluß zu, daß es
sich um ein hochpolitisches staatsumwälzendes Unternehmen handelt,
in das er selbst verwickelt ist, wobei er eine Rolle spielen soll, die
ihm offenbar nicht liegt. Vermutlich hat er Versprechungen und
Zusagen gemacht, und nun, wo es gilt zu handeln, fehlt es ihm an Mut
und innerer Entschlossenheit. Er schrickt vor dem Letzten, dem
Äußersten zurück; willensschwach wie er ist, kann er
sich nicht aufraffen zur entscheidenden Tat und hat nun einerseits den
Zorn und die Rache der Mitverschworenen, zugleich aber die Aufdeckung
der ganzen Verschwörung zu fürchten .... Ein Hamlet-Charakter
am österreichischen Kaiserhof! - Die Gräfin Larisch, die
darüber ganz bestürzt ist, rät ihm, sich der Kaiserin
oder noch besser, dem Kaiser selbst anzuvertrauen.
Er schilt sie eine Närrin. "Wenn ich mich dem Kaiser anvertrauen wollte, würde ich mein eigenes Todesurteil unterschreiben" ist seine rätselhafte Antwort; aber diese Antwort verliert alles Rätselhafte in dem Augenblick, wo man weiß, daß Rudolf Freimaurer ist und die Degenspitzen der von ihm verratenen Brüder an der Stelle seines Herzens fühlen muß. Wenn sich Rudolf dem Kaiser anvertrauen wolle, wie ihm seine Cousine rät, so würde er zwar höchst wahrscheinlich dessen Verzeihung erlangen, aber dafür die Blutrache der verratenen Brüder eintauschen; er würde eben nur "sein eigenes Todesurteil unterschreiben", Worte, welche die nicht eingeweihte Gräfin Larisch natürlich nicht versteht und daher ohne jeden Versuch einer Erklärung wiedergibt. Zur Unterstützung unserer
Ansicht, daß Kronprinz Rudolf ein
Werkzeug und Opfer der Freimaurer war, sei auch die geheimnisvolle
Geschichte mit der Stahlkassette herangezogen.
Ein paar Tage vor seinem Tode bringt der Kronprinz in größter Erregung der Gräfin Larisch eine in Stoff eingenähte schwere Kassette und verlangt von ihr, daß sie diese an sich nehme und schleunigst an einem sicheren Ort verberge. "Sie darf unter keinen Umständen in meinem Besitze gefunden werden. Jeden Augenblick kann der Kaiser eine Durchsuchung meines Eigentumes befehlen." Die Gräfin weigert sich zunächst, doch Rudolf zwingt sie ihr auf mit der Versicherung, daß die Kassette nichts für sie Kompromittierendes enthalte. "Wie lange soll ich dieses schreckliche Ding aufbewahren?" fragt sie ihn. "Bis ich sie zurückfordere oder bis jemand anderer sie zurückverlangt. Für den Fall, daß es dazu kommen sollte - sagte er ernst - muß ich Dir Verhaltungsmaßregeln geben. Nur ein Mensch kennt das Geheimnis dieser Kassette und er allein hat außer mir das Recht sie zurückzuverlangen." "Wer ist das?" - "Sein Name tut nichts zur Sache. Du kannst sie der Person übergeben, die Dir vier Zeichen nennt. Schreib' sie Dir auf und wiederhole sie." Und langsam sprach der Kronprinz die vier Buchstaben: "R. J. U. O." Daß die unter so merkwürdigen Umständen übergebene Kassette die Liebesbriefe des Kronprinzen enthalten hat, dürfte wohl auch das argloseste Gemüt nicht glauben wollen. Wahrscheinlich enthielt sie den genauen Plan für die Ausführung des Staatsstreiches sowie alle jene Papiere, die Rudolf als Freimaurer von der Großloge zugegangen waren. Jeder Freimaurer kann übrigens bestätigen, daß die Brüder verpflichtet sind, alles was sich auf ihren Bund bezieht, unter strengstem Verschluß zu halten und dafür Vorsorge zu treffen, daß nach ihrem Tode sämtliche Briefe, Papiere und sonstigen Dokumente einem Bruder höheren (oder gleichen) Grades ausgehändigt werden. Halten wir uns alle diese
Umstände vor Augen, so kommen wir zu dem
Schluß: Die Liebesgeschichte mit der Baronesse Vetsera kann es
gar nicht gewesen sein, die ihn derart in Unruhe und Angst versetzt und
ihn schließlich bis zur Verzweiflung und in den Tod getrieben
hat. Davon ist übrigens bei derselben Zusammenkunft
ausdrücklich die Rede. Rudolf spricht von der "Gefahr", die
ihm droht und der er zu entrinnen hofft. Die Gräfin fragt
ihn: "Betrifft die 'Gefahr' die Zwistigkeit mit Stephanie?" -
Rudolf lacht: "Stephanie! - Ach nein, die ist nur ein häusliches
Unheil. Die Gefahr, die mir droht, ist politischer Natur." Die Gräfin ist
darüber entsetzt, denn sie hätte nie geglaubt, daß sich
der Kronprinz in gefährliche politische Abenteuer einlassen
würde.
Wer ist nun jener "einzige"
Mensch, der außer Rudolf um das
Geheimnis der Stahlkassette weiß und gegebenen Falles sie
zurückverlangen soll?
Es ist ein Mitverschworener. Einige Tage nach Rudolfs schrecklichem Ende erhält Gräfin Larisch ein Schreiben, worin sie aufgefordert wird, denselben Abend um 10 Uhr 30 an einem bestimmten Ort zu erscheinen und das ihr "Bekannte" mitzubringen. Die Unterschrift ist durch vier Buchstaben ersetzt: R. J. U. O. Sie kommt und trifft einen fremden, großen Mann, der einen steirischen Mantel und Filzhut trägt. Die ungewöhnlich schönen Augen des Fremden fallen ihr auf, ebenso das interessante Gesicht; aber sie erkennt ihn nicht. Der Fremde spricht sie mit ihrem Namen an, nennt die vier Buchstaben, sie will ihm schon die Kassette übergeben, da stellt er vorher noch an sie einige Gewissensfragen: "Haben Sie jemals von dieser Kassette gesprochen?" - "Niemals - niemals." Der Fremde atmet bei diesen Worten erleichtert auf. "Hat 'ER' Ihnen von dem Geheimnis erzählt?" - "Nein, ich weiß nichts davon." - "Es ist auch besser so, sonst könnte Ihr Leben auf dem Spiele stehen." Er nimmt die Kassette und lüftet den Hut. Jetzt erst erkennt die Gräfin den vor ihr Stehenden: Es ist Erzherzog Johann von Toskana. Was die vier Buchstaben "R. J.
U. O." anlangt, so findet sich in dem
Buche der Gräfin Larisch keine Erklärung. Vielleicht
sind sie ganz willkürlich gewählt; vielleicht aber liegt
ihnen ein tieferer Sinn zugrunde, der das Ziel der Verschwörung
ins Auge faßt: Rudolf-Johann, Ungarn-Österreich!
Dafür spricht wenigstens
der sonstige Inhalt der nächtlichen
Unterredung, die so bemerkenswert ist, daß sie hier in ihren
wesentlichen Punkten wiedergegeben sei. Erzherzog Johann sagte
weiter: "Hätte der Kaiser
diese Papiere (die sich in der Kassette befanden) gefunden, so hätten die Dinge
für ihn (Rudolf) viel
schlimmer gestanden. Der
Kronprinz hat Selbstmord begangen; aber hätte der Kaiser alles
gewußt, so hätte er ihn vor ein Kriegsgericht stellen und
als Hochverräter erschießen lassen müssen."
Die Gräfin schrie auf. "Mein Gott, was hat er getan? .... Hat er an die Krone von Ungarn gedacht?" - "Der Erzherzog nickte zustimmend und mir fielen plötzlich Tantes Worte ein (gemeint ist die Kaiserin Elisabeth), mit denen sie vor langer Zeit einmal angedeutet hatte, daß Rudolf sich in den Händen der Freimaurer befinde." Das ist nun freilich die einzige Stelle des Buches der Baronin Wallersee, wo von den Freimaurern die Rede ist. Aber gerade diese eine Stelle enthält den Schlüssel für das Verständnis der ganzen Tragödie. Wenn eine ungarische Verschwörung bestand, so konnte sie schlechthin nur von den Freimaurern ausgehen, die ja bei allen Revolutionen und Zettelungen des 19. Jahrhunderts nach ihren eigenen Eingeständnissen die Hand im Spiele haben. Natürlich sind da nicht die unteren drei Grade gemeint, die ja von all dem nichts wissen, weil sie in die großen Staatsaktionen nicht eingeweiht werden. Gemeint sind die schottischen Hochgrade, die auch in Ungarn bestehen und dort genau so um die politische Machtstellung kämpfen wie etwa in Frankreich oder Italien, in Portugal, Spanien, Belgien usw. Selbstverständlich muß auch Johann von Toskana Freimaurer gewesen sein, und zwar dürfte er einen höheren Rang eingenommen haben als Rudolf. Über das Ende des
Kronprinzen ließ sich Johann von Toskana
der Gräfin Larisch gegenüber folgendermaßen aus: "Können Sie sich vorstellen, was die
Furcht vor Entdeckung für Rudolf bedeutet haben muß,
für einen Mann mit seiner nervösen Veranlagung und seiner von
Reizmitteln und Branntwein untergrabenen Gesundheit? Schon die Furcht allein hätte ihn zum Selbstmord treiben
können. Es ist ein Jammer, daß er so schwach
war. Er
hat mir sein Wort gebrochen,
und ich habe ihm vertraut! Aber eine Flasche Kognak scheint ihn
in einen verächtlichen Feigling verwandelt zu haben ...."
Aus dieser Äußerung läßt sich der Schluß
ziehen, daß der Tag für die Ausführung des
Staatsstreiches bereits verstrichen war. Der Kronprinz hatte sich
offenbar ehrenwörtlich verpflichtet, an einem bestimmten Tage -
vielleicht war es der 2. Dezember 1888, der Tag des 40jährigen
Regierungsjubiläums Kaiser Franz Josephs - vom Throne Ungarns
Besitz zu ergreifen und dem Erzherzog Johann ein dahinzielendes
Versprechen abgegeben. Dieses Versprechen hatte er nicht
gehalten, sein Wort gebrochen; und so lebte er in der doppelten Furcht
vor der Aufdeckung des Planes durch die Staatspolizei und der Rache
seiner Mitverschworenen. An Vorwürfen wird es nicht gefehlt
haben. Erzherzog Johann nennt ihn einen verächtlichen
Feigling, andere werden ihn einen Verräter gescholten und ihn an
seine Eide, vielleicht auch an jene Strafen erinnert haben, die auf den
Treubruch gesetzt sind. So befand sich Rudolf allerdings in einer
fürchterlichen Lage. "Schon
die Furcht vor Entdeckung allein - sagte Johann von Toskana - hätte ihn zum Selbstmord treiben
können"; nimmt man dazu die Vorwürfe der
Mitverschworenen, die Furcht vor ihrer Rache und nicht zuletzt auch die
eigenen Gewissensbisse, so sind das wahrlich Gründe genug, um ihm
den Revolver in die Hand zu drücken. Der wichtigste von
allen Beweggründen aber war wohl der: Der Kronprinz fand aus diesem Labyrinth
keinen Ausweg mehr. Das scheinbar Nächstliegende, dem
Kaiser alles zu beichten, bedeutete den Verrat seiner Mitverschworenen;
und das hieß nichts anderes, als - wie er selbst sehr richtig
sagte -, "sein eigenes Todesurteil
unterschreiben". Nach Ofenpest zu fahren, konnte er nicht
mehr wagen; er fürchtete die Vorwürfe, den Zorn und die Rache
der Logengewaltigen, die ihn doch nur als Werkzeug ihrer eigenen
Machtgelüste gebrauchen wollten. Was blieb ihm also
übrig? Nichts als der Tod.
Und den wollte er sich nach Möglichkeit versüßen.
Mary Vetsera war ihm treu ergeben. Sie sollte seine letzten
Stunden mit ihm teilen, sie,
die schon seit Wochen ein eisernes Armband trug, ein Geschenk Rudolfs,
das nach seinen eigenen Worten "Treue bis in den Tod" versinnbildlichte.
Deshalb ließ er Mary, die zu Hause eingesperrt gehalten wurde, durch die Vermittlung der Gräfin Larisch zwei Tage vor seinem Ende auf geheimen Wegen in die Hofburg bringen und durch den ihm ergebenen Fiaker Bratfisch nach Meyerling entführen. Mit ihr, die ihn von allen am meisten geliebt, die ihn verehrt und bewundert hatte, wollte er gemeinsam den Mühseligkeiten eines Lebens entrinnen, das er nicht meistern konnte. So ist denn der Tod Rudolfs die Verzweiflungstat eines schwachen, halt- und hilflosen Menschen, der nicht aus noch ein wußte, und die Liebestragödie nur eine mehr oder minder zufällige Begleiterscheinung. Daß dies die richtige
Auffassung ist, geht überdies auch aus
der Äußerung eines sehr bekannten Hochgradfreimaurers
hervor, des Grafen Julius Andrassy,
die hier eingeschaltet sei; dieser ehemalige bedeutende Staatsmann
gehörte zu den besten Freunden der Baronin Wallersee, und zwar
schon seit ihrer ersten Ankunft in Österreich; ihm vertraute sie
sich an, so oft sie sich in Gödöllö - dem Jagdsitz der
Kaiserin - in irgendwelchen Schwierigkeiten befand. Andrassy
besucht die Gräfin Larisch (Baronin Wallersee) sofort nach Rudolf
Tode. "Sagen Sie mir, hat
Rudolf Ihnen gegenüber jemals von Politik gesprochen?" -
forscht er die Gräfin aus - "Denn
Sie müssen wissen, daß der Tod des Kronprinzen nicht lediglich eine Liebestragödie ist."
Das ist doch deutlich genug. Doch kehren wir auf einen Augenblick zu Johann von Toskana zurück. Am Schlusse seiner nächtlichen Aussprache mit der Gräfin Larisch gibt er ihr zu verstehen, daß sie ihn nie mehr wiedersehen werde. Aber er danke ihr sein Leben - weil sie nämlich die Kassette uneröffnet und unversehrt ihm ausgehändigt hatte - und nie werde er ihr vergessen, was sie an ihm getan habe. Die Gräfin ist betroffen und verwirrt. "Kaiserliche Hoheit - sagt sie - gehen Sie denn fort von Österreich?" Johann von Toskana lächelt. "Ja. Ich werde sterben, ohne tot zu sein ...." Und als Mann von Wort handelte er, wie er sprach. Er legte Titel und Würden ab, nahm den schlichten Namen Johann Orth an, rüstete ein Schiff aus und verschwand aus dem Gesichtskreise der Lebenden. Niemand kann sagen, ob er noch lebt oder mit seinem Schiffe Margarita im Jahre 1891 an der Südspitze Südamerikas zugrunde gegangen ist. Darüber aber kann kaum ein
Zweifel herrschen, daß sowohl er
wie Kronprinz Rudolf Werkzeuge in den Händen der Freimaurer waren,
wobei der eine den geplanten Staatsstreich mit seinem Leben, der andere
mit freiwilliger Verbannung gesühnt hat.
Zusatz: Daß der Kronprinz
Freimaurer war, wird mir nun gerade zur rechten
Zeit von durchaus glaubwürdiger Seite bestätigt; es ist eine
Dame der Wiener Gesellschaft, die kraft der Stellung ihres Gemahls - er
war österr.ungar. Botschafter in Rom - vielfach Gelegenheit hatte,
einen Blick hinter die Kulissen zu tun; sie machte mir hierüber
bemerkenswerte Mitteilungen, aus denen das Wesentliche in Folgendem
hervorgehoben sei:
Kronprinz Rudolf wurde nach seiner Weltreise vom Prinzen von Wales, dem späteren König Eduard VII., Ende der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts in die Freimaurerei eingeführt, wobei sein Reisebegleiter, der bekannte Naturforscher Prof. Brehm vorgearbeitet hat. Später wurde Kronprinz Rudolf auch Mitglied der ungarischen Großloge. Anläßlich eines Jagdausfluges nach Siebenbürgen war er Gast eines gewissen Grafen Teleki, der ebenfalls Freimaurer war. Dort hatte sich eine größere Jagdgesellschaft eingefunden und bei einem Champagnergelage wurde dem Kronprinzen eine Schrift vorgelegt, worin er sich verpflichten sollte, für die Selbständigkeit der ungarischen Armee und für die Unabhängigkeit Ungarns einzutreten. Der Kronprinz, der sich der Tragweite seiner Handlung nicht mehr bewußt war, unterschrieb diese Urkunde. Einige Zeit später hielt das Mitglied des Magnatenhauses, Br. Graf Pista (Istvan) Karolyi, eine Parlamentsrede, worin er die Aufsehen erregende Mitteilung machte, daß in kürzester Zeit die ungarische Armee die volle Selbständigkeit erhalten werde. Er berief sich darauf, daß er dies aus zuverlässiger Quelle wisse. Der Kronprinz jedoch - derart in die Klemme gebracht - weigerte sich nun, das ihm im Zustand der Trunkenheit abgelistete Versprechen zu erfüllen. Dies war die Einleitung des politischen Trauerspieles von Meyerling. von Dr. W. F. (im Jahre 1919 verfasst) |
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