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Das Eis und seine Bedeutung



Auf seiner Reise, im Zauber des Hochgebirges, mag Goethe auf den großen Gedanken gekommen sein, dem Eis jene gewaltige Rolle zuzuschreiben, die diesem in der Geschichte vom Bau der Erdkruste tatsächlich zukommt.
Der Naturforscher Goethe hat damit mit dichterisch-seherischer Gabe die Bedeutung der Eiszeit schon erkannt, wenn auch dieser Begriff erst später genauer umrissen wurde. Seitdem haben viele Forscher Goethes Worten "von der Epoche großer Kälte" nachgespürt und die geniale Intuition des großen Mannes wurde durch das Ergebnis der Forschung gewürdigt.
Für die Gestaltung der Erdoberfläche und die Entwicklung organischen Lebens sind die Eiszeiten von entscheidender Wichtigkeit.  Die mehrmalige Wiederkehr solcher Zeiten tiefer Vergletscherung weiter Landflächen ist über allen Zweifel erhaben, ja wir sind ohne Widerspruch davon unterrichtet, daß schon der Mensch Kronzeuge der letzten Eiszeit war.  Verschiedentlich sind aber die Theorien, die die Ursachen der Eiszeiten zu erklären versuchen.  Da es sich um eine anscheinend periodische Erscheinung handelt, kommt an erster Stelle ein astronomischer Vorgang zur Erklärung der Periodizität in Frage.  Die auslösende Kraft wird einmal in der Verlagerung der Pole und des Erdschwerpunktes, ein andermal im Schwanken der Erdachse in ihrer Stellung gesucht.  Wieder andere Forscher glauben in terrestrischen Vorgängen die Ursache zu sehen.  Dem einen genügt eine Verlagerung des Golfstroms allein, die Vereisung großer Landflächen herbeizuführen, eine andere Theorie bedient sich der Annahme einer zeitweisen Verarmung der Atmosphäre an Kohlensäure und damit verbundener Temperaturerniedrigung.  Jedoch wie soll die Periodizität dieses Geschehens erklärt werden, wie andere, gleichzeitige Erscheinungen?

In der Lösung des Problems von den Ursachen der Eiszeit liegt nach dem Ausspruch ernster Forscher der Schlüssel zum Geheimnis der Welträtsel - dem Großgeschehen wie dem Kleingeschehen überhaupt. Was verursachte die Erniedrigung der Jahresisothermen, d.h. der Linien gleicher Temperatur, bis jener Zustand der Vereisung eingetreten war?  Was verursachte den Rückgang der Vereisung?

Im Grund genommen handelt es sich doch wohl um dieselbe, höchst einfach zu erklärende Bedingung für das Entstehen einer Vergletscherung überhaupt.  Die Natur liebt es nicht, sich verwickelt zu gestalten, sie schwelgt nicht im Überfluß der Ursachen.  Eine Vergletscherung bedeutender Landstriche haben wir nun heutzutage, ja dauernd, wenn hinreichend große Gebiete über der Schneegrenze liegen.  Diese Schneegrenze stellt sich auf unserer Erde, infolge der Neigung ihrer Achse und ihrer Stellung zu der wärmespendenden Sonne, einmal in Polarregionen, also mit zunehmender geographischer Breite bei Normaldruck des Barometers, d. h. Normalhöhe, ein.  In den Gebieten der gemäßigteren Zonen, aber auch am Äquator, finden wir die Region ewigen Eises abhängig von einer gewissen Höhe über Normal-Null, d. h. abhängig von einem verringerten Druck der über dem Boden lastenden Luftsäule.  In den Hochregionen der Zentralalpengebiete ist es die Verdünnung der Atmosphäre einzig und allein, die den Bestand der Gletscher sichert, deren Auf und Ab wieder von verschiedenen Niederschlag bedingenden Faktoren abhängig ist.  Die geringere Dichte der Luft ist es, die eine Erwärmung nicht zuläßt und die Ausstrahlung erleichtert.  In den Grenzen ewigen Eises und Schnees herrscht bekanntlich schon ein so bescheidener Luftdruck, daß sich sogar der menschliche Organismus an diesen Gebietszustand zunächst gewöhnen muß.  Wenn wir nun weite Gebiete in jene Höhen verdünnter Luft gehoben dächten, aber - was dasselbe ist - der Luftdruck über N.N. um jenen Betrag erniedrigt befunden würde, so wäre Vergletscherung ebenso die Folge.  Eine allgemeine Luftverarmung der Erdoberfläche genügt also, um den Zustand einer Eiszeit auszulösen, für den sonst verwickelte Vorgänge vorausgesetzt werden müssen.


Noch ist unser Erdenmond weit weg, doch bereits heute übt er sichtbare Wirkung auf die Gezeiten
des Meeres und der Luft, sowie auf die Formveränderung der Erdoberfläche.


Diese veränderten meteorologischen Verhältnisse können ohne weitere Schwierigkeiten die Folgen von mechanischen Kräften sein, die in den Bewegungsgesetzen unseres Sonnensystems begründet sind.  Hier interessiert nur das System Erde-Mond.  Daß riesige kosmische Zeiträume für derartige Perioden der Erdgeschichte in Frage kommen, braucht nicht betont zu werden.  Das Steigen und Fallen des Wassers der Meere, also Ebbe und Flut, ist eine auch dem Laien bekannte Erscheinung.  Dieselben Kräfte üben aber auch ein Verhalten auf den Luftmantel der Erde aus.  Denn wenn schon die beweglichen Wasser sichtbar beeinflußt werden, so muß das auch bei der atmosphärischen Hülle meßbar der Fall sein.  Die Folge zeigt sich im Steigen und Fallen der Quecksilbersäule im Barometer.  Man kann also auch von einer atmosphärisch-meteorologischen Ebbe und Flut sprechen.  Das gleiche gilt für Formveränderungen der festen Erdkruste, obgleich die Erde selbst so starr wie Stahl ist.  Folgt doch die Erdoberfläche dem normalen Luftdruck schon dergestalt, daß sie bei hohem Barometerdruck niedergedrückt und bei niedrigem Barometerstand geboten erscheint.  Für unsere Breiten macht das soviel aus. daß bei Hochdruck ein Punkt der Erdoberfläche 7½ Zentimeter dem Erdmittelpunkt näher ist als bei Tiefdruck.
Um nun auf weiten Gebieten der Erde jene Erscheinung ausgelöst zu sehen, die wir im vergletscherten Hochgebirge finden, wonach also von einem gewissen Barometerstand ab die Vergletscherung gesichert ist, bedarf es nur der Annahme eines verstärkten Einflusses auf den Luftmantel unserer Erde, einer einfachen Absaugung von Luftmassen, deren Folge Temperaturerniedrigung ist.  Das ist gleichbedeutend mit der Vervielfältigung jener Kräfte, die heute ständig am Werke sind und Ebbe und Flut im Luftmeer, in den Wannen der Ozeane auslösen und denen der feste Erdboden noch merklich folgt.

Die weitere Annahme einer allmählich Mondannäherung an die Erde würde die Voraussetzung spielend leicht schaffen.  Gleichzeitig sehen wir diejenigen Ursachen vermittelt, die die Wassermassen zu Flutbergen auftürmen.  Die Wasser werden sich in Ansehung der Eigenrotation des Erdballs gegen den Äquator zusammendrängen, die mittleren und höheren Breiten von Wasser entblößen und die Vereisung großer, vom Meer freigewordener Landstrecken ist die Folge.  Der hereinbrechenden Weltraumkälte sind weite Gegenden schutzlos preisgegeben.
Die Annahme einer Mondannäherung ist nun nicht von der Hand zu weisen, schließen doch Astronomen aus einer nur Sekunden betragenden Verkürzung des Monatsmittels auf Grund feiner Erdbeobachtungen auf einen derartigen Vorgang.  Der Mond schraubt sich also sozusagen in einer spiraligen Bewegung der Erde näher und näher.  Mondannäherung und Mondauflösung mit ihren zunächst unübersichtlichen Folgen in bezug auf die Entwicklung des Lebens auf der Erde, die gleichzeitige Massenvermehrung der Erde und die dynamischen Vorgänge auf dieser sind aber wesentliche Grundlagen des Weltbildes der Glazialkosmogonie.

Mit diesem Gedanken schlägt Goethe bereits die Brücke in das nächste Zeitalter, erfüllt von einem Weltbild, das technisches Wissen und technische Vorgänge für sein Zustandekommen voraussetzt.

Julius Trumpp


(Aufsatzquelle: "Schlüssel zum Weltgeschehen", S. 117-119, Heft 4, Jahrg. 1927, R. Voigtländers Verlag-Leipzig)